Debatte

Politik
Anmoderation von Conny:
Liebe Mitdiskutierende, die letzten Wochen war ja ein bisschen "Sommerpause" in der tagating Runde und es wurde recht wenig kommentiert. Ich hoffe, ihr seid wieder da und habt Lust zu kommentieren.
Hier ein Thema, was die Gemüter auf verschiedenen Seiten stark erregte und wie ich finde auf dem oben veröffentlichten Blog sehr vielschichtig kommentiert wurde.
Interessant finde ich dabei mal wieder die Tatsache,
1. dass die Trennlinie zwischen politischen Seiten zuweilen sehr zickzack verläuft
2. dass man durchaus sehr sachlich über hochgekochte Themen diskutieren kann
3. dass man innerhalb eines Blogs sehr unterschiedliche Meinungsfacette haben und ertragen kann
Das Streitthema ist
- Befreiung oder Niederlage und die jeweilige Interpretation dieser Begriffe. Wie steht ihr zu diesem Thema?

Kommentare (5)

Mahdi • 19.09.2023
Ich habe noch ein paar weitere Gedanken zu der Frage "Befreiung oder Niederlage"
Zunächst kann ich Renes und Connys Kommentaren nur zustimmen.
Was die "Befreiung" betrifft, so ist es klar, dass wir alle (Deutsche, Polen, Franzosen, Russen, Ukrainer, usw.) von einem schrecklichen Naziregime und faschistischer Tyrannei befreit wurden.
Diese Befreiung war der Hauptverdienst der Sowjetunion, die den höchsten Preis an Menschenleben zahlten. Das sie nach Nazideutschland auch die meisten Verbrechen begangen ist ein anderes Thema.
Eine Niederlage war es für alle trotzdem, weil alle Deutsche (ob Täter, Mitläufer oder Unschuldige) nach dem Krieg als Verlierer dastanden. Viele hatten ihre Häuser verloren, einige wurden vertrieben und verloren ihre Heimat, andere mussten als Bürger 2. Klasse unter fremder Herrschaft leben (jetzt wird es etwas kontrovers und heikel, was ich schreibe).

Desweiteren lebeten die Deutschen in BRD und DDR unter Besatzung, die meistens nicht als Besatzung wahrgenommen wurde, weil wir in relativer Freiheit und Sicherheit lebten.
Mir wurde als Kind nur dann klar, dass wir unter Besatzung lebten, wenn die US Panzer durch unser Dorf fuhren und sie bei Militärübungen mit ihren Panzern unsere Wiesen in einen Acker verwandelten, oder als Gerüchte umgingen, dass nur 2 Km entfernt atomare Sprengköpfe gelagert wurden und das zur heißen Phase des kalten Krieges mitte der 80er.
Wir waren (und sind es eigentlich auch immer noch) der Spielball zwischen den militärischen Großmächten. Meiner Meinung nach kann man da nicht von "Befreiung" (zumindest nicht im vollkommenen Sinne) sprechen.
Seit der Wiedervereinigung verschwand die militärische Präsenz und Einfluß von Russland, doch der Einfluß der USA bleibt nicht nur durch die militärische Präsenz bestehen, die im Übrigen von unserem Boden aus Kriegsverbrechen begehen. Es sind die Nachwirkungen einer Niederlage und Demütigung, die eigentlich jeder souveräne Staat als Unverschämtheit und inakzeptabel von sich weisen würde.
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René Nehring • 19.09.2023
Mir fiel beim Lesen der Anmoderation auch sofort Theodor Heuss ein. Er hat mit seinen weisen Worten im Grunde alles gesagt: Er hat klar zum Ausdruck gebracht, daß am 8. Mai 1945 unser Land von einem Schreckensregime erlöst und zugleich vernichtet wurde. Die Vokabel von der Befreiung wurde bezeichnenderweise erst salonfähig, als vierzig Jahre nach Kriegsende ein Großteil der Erlebnisgeneration nicht mehr am Leben war. Diese Betroffenen hätten sich nämlich aufgrund ihrer eigenen Erlebnisse verbeten, befreit worden zu sein. Andererseits ist natürlich klar, daß die Insassen von Konzentrationslagern und sonstigen Verfolgten des NS-Regimes das Ende des „Dritten Reiches“ als Befreiung empfunden haben.
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Mahdi • 18.09.2023
Ich zitiere mal Theodor Heuss:
„Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“

Und ich poste mal einen link zu meinem Blog zum Thema "8.Mai -Gedenktage und was sie bedeuten". Zwar geht es auch um den israelischen Unabhängigkeitstag, aber ich habe einige Gedanken zum 8. Mai geschrieben.
https://markusfranke.wixsite.com/israel/post/israels-unabh%C3%A4ngigkeitstag-die-katastrophe-und-der-8-mai-gedenktage-und-was-sie-bedeuten
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Conny • 18.09.2023
@Mahdi: Danke für die Gedanken und den Link.
Ich hatte nach der Lektüre aller zum obigen Thema gelesenen Kommentare folgende Gedanken als Text formuliert:
"Eine Niederlage wie die des 8.5.45, noch dazu eine so komplette, birgt, wenn sie als solche erkannt und bekannt wird, auch die Chance zu einem Neubeginn, einem Lernprozess. Fehler in allen erdenklichen Abstufungen, von schlimmsten Verbrechen bis hin zum naiven Mitläufertum wurden ja nicht nur in Einzelfällen, sondern in der Überzahl gemacht. Die Befreier wurden nicht mit offenen Armen von massenhaft desertierenden Deutschen empfangen, sondern mussten unter großen Verlusten diese "Befreiung" erkämpfen. Sich jetzt aus der sicheren Distanz ganz verallgemeinernd im Kollektiv der Gruppe der gegen ihren Willen und trotz innerlichem oder äußerlichem Widerstand Unterjochten zuordnen zu wollen, zeugt meiner Meinung nach von einer ungeheuren Arroganz der Nachgeborenen."

Für mich basiert diese ganze Erregung über Frau Weidels Aussage auf der unterstellten Annahme, dass sie die Niederlage bedauert oder präziser formuliert, wünschte, sie wäre nicht geschehen. Hat sie das so gesagt? Hat jemand nachgefragt?

Nehmen wir mal ein normales Desaster auf persönlicher Ebene, das in einer kompletten Niederlage oder Demütigung endet: würde man dieses Datum feiern? Vermutlich nicht. Daraus folgt aber nicht, dass man diesen schmerzhaften Endpunkt einer desaströsen Zeitperiode als nicht als Wendepunkt hin zu einer besseren Entwicklung wertschätzen kann. Selbst wenn man inmitten des Desasters keine oder wenig Bereitschaft gezeigt hat, sich befreien zu lassen, kann es im Nachhinein als eine Befreiung aus dem eigenen Irrglauben betrachtet werden.
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