Anmoderation von Grüne Flora:
Hier ein nachdenkliches Stück eines russischen Autoren über die Entwertung des Gedenkens an den Zweiten Weltkrieg durch den gegenwärtigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wie seht Ihr das? Und welche Bedeutung hat der 8./9. Mai heute noch?

Kommentare (10)

Mahdi • 09.05.2023
Ein sehr guter Artikel. Kann dem Autor in allen Punkten zustimmen.
Mir kommen sehr viele Gedanken dazu, will mich aber mal auf wenige beschränken:
Leider werden Gedenktage oft entwertet, indem man Dinge verklärt oder gar glorifiziert, wie es in dem im Artikel Beschriebenen der Fall ist.
Für die Gegner Nazideutschlands ist es einfach, den 8./9. Mai zu feiern, denn sie waren ja "auf der richtigen Seite". Dabei werden dann schnell eigene Verbrechen vergessen oder gar gerechtfertigt.
Für die Deutschen ist es ein Tag der Befreiung und Demütigung zugleich, so wie es Rene mit dem Zitat von Heuss auf den Punkt brachte.

Was Gedenktage betrifft, finde ich den Unabhängigkeitstag in Israel interessant.
Eine Woche vor diesem Tag ist der Holocaust-Gedenktag, am Tag vor dem Unabh.Tag ist der Gedenktag für Opfer von Terror und Krieg.
Und hat man bis zum Sonnenuntergang noch all der Opfer gedacht und getrauert, so wird plötzlich im ganzen Land gefeiert, dass man nach 2000 Jahren endlich wieder zurück in "Erez Zion" ist (so wie es in der Nationalhymne gesungen wird).
Gleichzeitig ist dieser Tag für viele Palästinenser die Naqbah -die Katastrophe, weil viele ihre Heimat verloren haben.
Es könnte Widersprüchlicher nicht sein und ein klein wenig ähnelt es der Widersprüchlichkeit für Deutschland, das am 8. Mai vom Faschismus befreit und gleichzeitig gedemütigt wurde. Man wurde ideologisch und teilweise physisch seiner Heimat beraubt, gleichzeitig bekam man die Chance auf einen Neuanfang.
1 0 Antworten Melden
Grüne Flora • 08.05.2023
Für mich hat Richard von Weizsäcker 1985 die beste aller Reden zum Kriegsende gehalten: Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung. Er hat die Deutschen befreit von einem verbrecherischen Regime! Weizsäcker hat auch darauf verwiesen, dass der 8. Mai für viele Deutsche neue Unfreiheit bedeutete. Aber er hat auch klargemacht, dass dieser Tag nicht denkbar ist ohne den 30. Januar 1933, an dem Hitler an die Macht kam.
0 0 Antworten Melden
Hans Falkenau • 08.05.2023
Die Zeiten, in denen der 8. Mai noch eine große Rolle spielte, sind vorbei. Die Generationen, die den Krieg noch mitgemacht haben, sind kaum noch unter uns. Für die heute Lebenden sind natürlich andere Themen wichtiger. Was einerseits verständlich, andererseits aber auch schade ist.

Ich finde, dass es sich durchaus lohnt, die Erinnerung an vergangene Epochen hochzuhalten. Und zwar nicht nur nostalgischen Gründen, sondern aus ganz praktischen. Der Ukraine-Krieg zeigt, wie schnell aus scheinbarer Vergangenheit wieder bittere Gegenwart werden kann.
1 0 Antworten Melden
Renking • 09.05.2023
Vllt sind auch deshalb andere Themen wichtig, weil man Dinge über die NS-Zeit nicht mehr hören kann. Ich hatte seit der 9. Klasse bis zum Abitur einmal im Jahr die NS-Zeit im Geschichtsunterricht. Ich kann vieles davon nicht mehr hören und das obwohl ich eine politisch und geschichtlich sehr interessierte Frau bin.
0 0 Antworten Melden
Conny • 08.05.2023
Ich habe - ganz unabhängig vom Thema - generell Probleme mit der persönlichen Wertschätzung von Gedenktagen. Ich sehe natürlich den Sinn und die Wichtigkeit, bestimmte Dinge immer wieder ins Bewußtsein zu rücken, den Fokus darauf zu richten. Oft stimmt für mich selbst das Timing nicht. Ich denke sozusagen lieber an einem anderen Tag daran - nicht an dem offiziell auserwählten....
0 0 Antworten Melden
Hans Falkenau • 08.05.2023
PS: Poste dazu auch gleich nochmal eine Umfrage.
0 0 Antworten Melden
René Nehring • 08.05.2023
Und hier Teil 2:

Für die Gegner Deutschlands im Zweiten Weltkrieg war der 8. bzw. 9. Mai natürlich der Tag des Sieges. Sie hatten weniger Anlaß, ihr Handeln im Krieg zu hinterfragen, dafür feierten die jeweiligen Regierungen in der Sowjetunion (später Rußland und den Nachfolgestaaten), den USA, Großbritannien und Frankreich noch Jahrzehnte später den Triumph der Vorfahren so, als wäre es ihr eigener.

Viele versuchten mit diesen Feiern auch zu kaschieren, daß die Gegenwart alles andere als rosig war. Dies gilt vor allem für die Sowjetunion und ihre Nachfolgestaaten. Mochte auch jeder im Lande wissen, daß die Gegenwart ein Elend war und mochten Millionen Sowjetbürger auch in ärmlichsten Verhältnissen leben, so gab die Erinnerung an den 9. Mai jedes Jahr immer wieder ein Gefühl von Größe.

Um so schlimmer die Instrumentalisierung des Gedenkens in der Gegenwart. Die Sowjetunion von 1941 bis 1945 war - trotz ihres verbrecherischen Herrschers Stalin - das angegriffene Land. Das Rußland von heute, bzw. die russische Regierung von heute, führt einen Angriffskrieg gegen ein slawisches Brudervolk. Das sagt alles zur Falschheit des heutigen russischen Gedenkens aus.
2 0 Antworten Melden
Grüne Flora • 08.05.2023
Hier stimme ich Dir ausdrücklich zu. Was Putin und seine Propagandisten heute von sich geben, ist widerwärtig. Die Ukraine gehörte als Teil der Sowjetunion zu den Opfern der Hitlerschen Aggression. Sie war das Schlachtfeld zuerst für den deutschen Vormarsch und dann für den Gegenschlag der Roten Armee, auch Tatorte von Massenverbrechen wie das Massaker von Babyn Jar liegen in der Ukraine. Insgesamt lag die Gesamtzahl dieses Teils der Sowjetunion bei ca. 8 Millionen Toten, davon 5 Millionen Zivilisten, einschließlich 1,6 Millionen ukrainische Juden.
1 0 Antworten Melden
Mahdi • 09.05.2023
Naja, die ukrainische Bevölkerung war zwar Ofer, aber es gab einige Kollaborateure, die den Nazis beim Holocaust geholfen haben und die bei der SS mitgemacht haben.
Auch waren manche Zivilisten in der irrigen Annahme, dass die Deutschen sie vom stalinistischen Terrorregieme befreien würden, bis sie gemerkt haben, dass nur ein weiteres Terrorregime sie nun unterdrückt.

Es ist zu einfach, ein Land /ein Volk nur als Opfer darzustellen und ein anderes nur als Täter darzustellen.
So wie es Täter auf der anderen Seite gab, gab es auch Opfer bei den Deutschen, die nicht hinter den Nazis standen und trotzdem alles verloren hatten.
Genauso ist es auch beim Krieg zwischen Russland und der Ukraine.
1 0 Antworten Melden
René Nehring • 08.05.2023
Da die Deutung des Endes des Zweiten Weltkriegs wesentlich davon abhängt, welcher Nation man angehört, äußere ich mich hier mal mit zwei Beiträgen:

Für die Deutschen war der 8. Mai als Tag des Endes des Zweiten Weltkriegs in Europa jahrzehntelang einer der wichtigsten, wenn nicht der wichtigste Gedenktag. Was nicht verwundert, bestimmte dieser Tag doch das weitere Schicksal von Millionen Landsleuten. Entsprechend leidenschaftlich wurde lange Zeit auch über die Deutung dieses Tages gestritten: Tag der Befreiung oder Tag der Niederlage waren die häufigsten Begriffe. Interessanterweise hat schon der erste Bundespräsident Theodor Heuss eine Formulierung gefunden, die den Sachverhalt am treffendsten beschrieb: „Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.“
2 0 Antworten Melden