Anmoderation von Conny:
Hallo liebe Leute, ich will nicht zu stark framen, aber hier ist ein Artikel, der mich veranlasst, dem zuständigen Redakteur eine Feedback-Mail zu schreiben. Ihr seid ja meist aus anderen Bundesländern, deshalb die Frage: wie wirkt sowas auf euch, wenn ihr euch vorstellt, es wäre euer Bundesland?

Kommentare (14)

Conny • 29.05.2023
Vielen Dank für die ausführlichen Kommentare. Ich habe gestern Nacht wirklich schlecht geschlafen, weil ich mich so aufgeregt habe...

Hier mein Kommentar:
Ein Bundesland mit über 11 Millionen Bürgern als eine Hochburg von "Reichsbürger" zu bezeichnen und als Beweis dafür 3-4 Beispiele zu nennen die alle in unterschiedlichen Regionen, teilweise 200-300 km voneinander entfernt stattfanden, ist irrsinnig.

Und dann wird schon wieder alles in einen Topf geworfen: es fängt mit der Esotherik an, geht über die Homöopahtie weiter, landet bei der Anthroposophie, nächster Schritt sind die Querdenker und dann sind wir auch schon bei bewaffneten Widerstand.
(kurze Zwischenbemerkung von dem abgebildeten Schild am Schaufenster des sogenannten esotherischen Teeladens: ich könnte jederzeit sofort solch ein Schild mit einer provokanten Botschaft produzieren, an irgendeinem Fenster fotografieren und behaupten, das wäre ein Beweis für potenzielle Straftaten. Ich finde diesen jounalistischen Nachweis reichlich dünn.)

Die Auslassungen des zitierten Experten Blume (würde ich mit gleicher Münze zahlen, so würde ich "Experte" oder sogenannter Experte oder vielleicht sogar umstrittener Experte sagen), diese Auslassungen sind fast schon wieder lustig in ihrer Absurdität: "Die Menschen hier legten schon immer großen Wert auf Autonomie und selbstständiges Leben...Die südlichen Bundesländer liegen weit weg von den politischen Zentren. "In Regionen, wo sich Menschen zwischen den Bergen selber organisieren, entsteht Ehrenamt, Zivilgesellschaft, Parlamente. Aber leider auch ein Hang zu Verschwörungsmythen und Esoterik"...

Was ist denn jetzt mit Boxberg und Heilbronn? Sind das abgewanderte Älpler? Und was soll dieser Kommentar mit dem "weit weg sein von den politischen Zentren"? Ich gehe mal davon aus, dass bekannt ist, dass Deutschland nicht zentralistisch, sondern föderalistisch organisiert ist und so der Abstand zum nächsten politischen Zentrum nicht allzuweit ist.
Und weil die Anthroposophie erwähnt wird: Die erste Waldorfschule wurde für die Arbeiterkinder in Stuttgart (= Landeshaupstadt und nicht einsames Alpental) gegründet und das anthroposophische Zentrum Goetheanum liegt ebenfalls nicht in einer Region, die sich zwischen den Bergen selbst organisiert, sondern bei Basel.

"Wer etwa alternative Medizin einkaufe, weil er den Ärzten nicht traue, sei auch generell anfälliger, andere Institutionen zu hinterfragen" -- wow, jetzt ist Herr Blume schon selbst auf dem Weg zum Verschwörungstheoretiker. Menschen, die aus welchen persönlichen Gründen auch immer der Schulmedizin kritisch gegenüberstehen, sind also schon in der Gefahr via Abwärtsspirale zur Staatsgefährdung zu werden? Das ist starker Tobak.

"Sozioökonomischen Strukturen begünstigten radikale Ansichten oftmals sogar. "Wer ein Haus gebaut hat, hat auch etwas zu verlieren" --- in BW gibt es über 2 Millionen Eigenheime. Da kommt ja noch was auf uns zu, wenn man Herr Blumes Gedankengängen folgt...

... soviel zunächst einmal..
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Mahdi • 30.05.2023
Es ist ja allgemein bekannt, dass Esotheriker und Anthroposophen (ist im Grunde eh das Gleiche) einen Hang zum rechten Lager haben. Der Investigativ-Journalist Böhmermann hat dazu auch 2 sehr gut recherchierte und aufklärende Videos gemacht, in denen er darlegt, was für Spinner diese Leute sind und das Rudolf Steiner auch sehr rechts war und da liegt es auf der Hand, dass die Anhänger auch rechts sein müssen.
Bin mir sicher, dass die Faktenfinder dazu auch einiges aufgedeckt haben.
....
Okay, genug Sarkasmus!
Ich sehe es ähnlich wie Du. Allerdings muss ich sagen, dass es in dem Video ein paar Darstellungen gibt, die nicht komplett falsch sind. Doch das Problem ist, dass jemand, der nichts über Anthroposophie weiß und der Homöopathie skeptisch gegenüber steht, durch solche Darstellungen ein skurriles Bild davon bekommt.
Der Zusammenhang, der tatsächlich existiert, ist das Menschen, die alles hinterfragen und alternative Wege suchen, öfters offen für Homöopathie, Esotherik oder Waldorfpädagogik sind, als Menschen, die voll und ganz auf Staat und Schulmedizin vertrauen.
Da ich selbst durch eine homöopathische Behandlung von meinem Asthma geheilt wurde (war damals 13 Jahre alt und äußerst skeptisch gegenüber dieser Behandlung) und mich eingehend mit Waldorfpädagogik beschäftigt habe und sogar eine gewisse Affinität zur "alternativen Szene" habe, finde ich es äußerst seltsam und befremdlich, wenn Menschen aus diesem Spektrum ins rechte Lager oder zu den Reichsbürgern abdriften.
Es dürften aber doch die Ausnahmen sein und die Darstellung in dem Bericht ist zumindest irreführend, wenn nicht gar extrem schlechter Journalismus und hat schon fast das Niveau von den Faktenfindern und Böhmermann.
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Conny • 30.05.2023
Was mich aus den Schuhen gehauen hat ist, dass "selbstbestimmtes und Verantwortung übernehmendes Leben" von diesem Journalisten bzw. dem unsäglichen Herrn Blume als nicht nur rechts sondern auch schon als potenziell gewaltaffin geframt wird.
Ich bin selbst kein Anhänger der Homöopathie, weiss aber durch meinen medizinischen Hintergrund, dass alle möglichen Therapieformen - auch die manchen Mitmenschen skurril erscheinenden - erfolgreich sein können. Der Mensch ist halt so. Ich bin ebenso kein Anhänger der Anthroposophie, aber ich kenne die Szene von innen. Das Menschliche und Mitmenschliche steht dort im Vordergrund. Gewalt und Extremismus sind von der Partie.
Diese riesige Gruppe von alternativ oder selbstbestimmt leben wollenden Menschen, die sich egentlich immer links empfanden, nun ebenfalls auf die rechte Seite des Bootes zu setzen ist schon irre. Wir kippen demnächst um...
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Hans Falkenau • 29.05.2023
Ich finde es ebenfalls schrecklich, wie gern deutsche Medien Landschaften und Regionen in unserem Land an den Pranger stellen. Egal, ob „den Osten“ oder Baden-Württemberg oder irgendeinen Ort.
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René Nehring • 29.05.2023
@Alle: Bitte entschuldigt meine langen Texte von eben, aber die Themen sind mir persönlich wichtig ;-)
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René Nehring • 29.05.2023
@Conny, hier noch mein Nachtrag zu vorhin, diesmal zu BaWü und zum aktuellen Tagesschau-Text:

Zuerst einmal zum Verständnis des Journalisten-Berufs. Die Aufgabe des Journalisten ist – egal, ob Print, Rundfunk oder Web – Geschichten zu erzählen. Jede noch so kleine Meldung, jeder Blog-Beitrag, jeder Leitartikel, jedes Interview etc. ist eine verdichtete Erzählung über einen Auszug aus dem großen Alltag des Lebens.

Die Aufgabe des Erzählers dabei ist, eine Beobachtung, von der er glaubt, daß sie für andere von Interesse sein könnte, möglichst spannend wiederzugeben. Dafür werden mitunter einzelne Beobachtungen so zusammengefügt, daß sie wie ein Trend erscheinen. Was zumeist auch notwendig ist, da einzelnen Geschehnissen in der Regel die Relevanz fehlt, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Verantwortung des Erzählers ist es dabei, darauf zu achten, daß die Geschichte im Ganzen korrekt ist und nicht etwa durch falsche Übertreibungen unstimmig wird. Leider halten sich viele Kollegen nicht daran, weil eine zugespitzte Geschichte fast immer mehr Aufmerksamkeit erregt als eine sachlich-informative.

Im Falle der Reichsbürger in Baden-Württemberg ist es natürlich unsinnig, anhand der wenigen Fälle ein ganzes Bundesland – zumal eines, das seit Jahrzehnten für einen überdurchschnittlichen Wohlstand und eine große Zufriedenheit der Bürger mit ihrem Land steht – an den Pranger zu stellen. Eine seriöse Geschichte müßte die wahrgenommenen Fälle zumindest in den Kontext der anderen Bundesländer stellen, um deutlich zu machen, daß hier ein überdurchschnittlich großes Problem liegt.

Mein persönlicher Eindruck ist, daß es dem Autor jedoch gar nicht primär um Baden-Württemberg an sich geht, sondern um etwas ganz anderes. Das "Ländle" im Südwesten steht gemeinhin nicht nur für einen soliden Wohlstand, sondern auch für deutsche Ingenieurskunst (Bosch, Daimler, Kässbohrer, Porsche, SAP, Stihl, Würth, Zeppelin u.v.a.), für klassische deutsche Landschaften (Bodensee, Schwäbische Alb, Schwarzwald) und für Klassiker des deutschen Geisteslebens (Hermann Hesse, Friedrich Hölderlin, Friedrich Schiller, Christoph Martin Wieland). Dadurch wurde Baden-Württemberg zum Inbegriff eines breit aufgestellten deutschen Wohlstands – und für all jene, die das nicht mögen, zum Inbegriff deutscher Spießigkeit.

Meine Vermutung ist deshalb, daß es dem Autor in Wirklichkeit darum geht, mit seiner "Reichsbürger"-Geschichte die in bestimmten Kreisen stets verachtete deutsche Gründlichkeit, Gemütlichkeit und Ordnung sowie das deutsche Wohlstandsdenken anzuprangern. Das funktioniert noch immer am besten, wenn man darlegen kann, daß in jedem noch so behaglich erscheinenden deutschen Idyll noch immer der braune Ungeist zu Hause ist.
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Marcus Izac • 30.05.2023
Spannend, ich hatte den Beruf eigentlich mal anders geschildert bekommen. Gerade unter der Beachtung der verschiedenen Zeitungsformate (Boulevard, etc.) Der Geschichtenerzähler gehört für mich dabei eindeutig ins Boulevard.

Journalismus zeichnete nach der Lesart eher aus, dass man:
1. Beschreibt was vorgefallen ist
2. Die persönliche Einstellung aus dem Bericht raus lässt
3. Stellungnahmen von allen Beteiligten einholt
5. Seiner Sorgfaltspflicht nachkommt und diese Stellungnahmen prüft
4. Nicht verkürzt, nicht ausschmückt, nicht übertreibt

Wenn ich nicht irre, spiegeln sich diese Punkte auch im „SPJ Code of Ethics“ wieder (https://www.spj.org/pdf/spj-code-of-ethics.pdf)

War das damals vermittelte Bild so falsch oder idealistisch? Klar ließt sich die klassische Nachrichtenmeldung nicht spannend, aber das soll sie ja auch nicht sein, wenn das Vorgefallene nicht spannend oder dramatisch war. Das Leben ist halt meist nicht spannend oder dramatisch.
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Conny • 30.05.2023
Ich hatte eigentlich auch immer so eine Annahme von Journalismus, wie du es schilderst, Marcus.
Schon allein wenn man alle wertenden Adjektive aus den heutigen Berichten herausnehmen würden, wäre viel gewonnen. Ebenso, wenn zumindest zwei Blickwinkel dargestellt werden würden.
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Grüne Flora • 29.05.2023
@René: Deine Skizzierung des Journalistenberufs kann ich nachvollziehen. Aber Deine Anmerkungen zu Baden-Württemberg sind - mit Verlaub - Quatsch. In dem von Conny geposteten Artikel wird eine konkrete Beobachtung beschrieben. Man kann wahrscheinlich darüber streiten, ob solche Beobachtungen repräsentativ für ein ganzes Bundesland sind oder nicht. Aber für Deine Unterstellung, wer Ba-Wü kritisiert, meint tatsächlich Deutschland, gibt es in dem Text keinerlei Beleg.
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René Nehring • 29.05.2023
@Conny: Ich ärgere mich seit über dreißig Jahren immer wieder darüber, wenn irgendwo in einem der fünf neuen Bundesländer etwas Schlimmes geschieht und es in den Medien sofort heißt: „Typisch Osten.“ Vor einigen Jahren habe ich dazu einen Text geschrieben, aus dem ich hier zitiere. Zum aktuellen „Fall Ba-Wü“ äußere ich mich dann separat.

Hier erstmal der Auszug aus meinem alten „Ost“-Text aus dem Jahr 2018:

Der „Osten“ ist so etwas wie der Gottseibeiuns der deutschen Politik. Wann immer ein Ereignis die öffentlichen Gemüter mit Schrecken bewegt und dabei ein Bezug zu den neuen Bundesländern erkennbar ist, findet sich ein Kommentar, der das Geschehen mit „typisch Osten“ erklärt.

Das gilt auch dann, wenn es vergleichbare Vorfälle im Westen der Republik gibt. Wenn Ausländer von Skinheads in Magdeburg oder Dresden gejagt werden, werden nicht nur die Täter genannt, sondern auch die Region, aus der diese kommen, problematisiert. Bei vergleichbaren Straftaten im Westen – wie den Brandanschlägen von Mölln und Solingen 1992/93 – fehlt der Hinweis auf eine bestimmte regionale Prägung. Als 2005 herauskam, dass eine Frau
in Brandenburg neun eigene Babys getötet hatte, führten Politiker dies u.a. auf „die erzwungene Proletarisierung in der DDR“ zurück. Doch wenn ein schwerer Kindesmissbrauchsfall wie jüngst in Freiburg die Öffentlichkeit erschüttert, erklärt niemand dies mit einer typisch badischen Sozialisation.

Auch der gegenwärtige Populismus wird vor allem als östliches Problem diskutiert. So wird den Polen, Ungarn oder Russen ob ihrer Regierungen schon mal in toto eine mangelnde demokratische Reife unterstellt. Dass es auch in den Niederlanden und in Frankreich starke populistische Kräfte gibt, wird ebenso ausgeblendet wie die Tatsache, dass eine populistische Bewegung gerade die Briten aus der EU führt. Und als nach der Bundestagswahl im Herbst nach einer Erklärung für das starke Abschneiden der AfD gesucht wurde, wurde schnell auf den hohen Stimmenanteil der Partei in den neuen Bundesländern verwiesen – der in der Tat überdurchschnittlich war. Besonders hart langte dabei der Historiker Magnus Brechtken zu, der kurz vor Weihnachten in der FAZ nach den Ursachen der hohen Prozentsätze für AfD und Linkspartei fragte und u.a. schrieb: „Wir haben es in den neuen Bundesländern mit dem verbreiteten Phänomen eines nachhängenden Deutschland-Bildes autoritärer Tradition zu tun, dessen Wurzeln weit in die Zeit vor 1945 zurückreichen.“

Abgesehen davon, dass die AfD auch im Westen zweistellige Ergebnisse eingefahren hat, kann dieser Befund nicht stimmen. Wie erklärt sich sonst, dass ausgerechnet den Menschen in der DDR, in Polen, Ungarn, der CSSR und den baltischen Staaten 1989/90 eine friedliche Revolution geglückt ist? Und wie passt ein solcher Befund zu dem Umstand, dass aus diesen angeblich autoritär geprägten Landstrichen ein Bundespräsident hervorgegangen ist, der weithin als „Glücksfall für die Demokratie“ bewertet wurde, sowie eine Kanzlerin, die von der New York Times als „letzte Verteidigerin des Westens“ gepriesen wurde?
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Grüne Flora • 29.05.2023
Mit Deiner Kritik am gern geübten Ossi-Bashing hast Du Recht. Pauschale Unterstellungen gegenüber ganzen sozialen Gruppen sind immer falsch.
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Mahdi • 29.05.2023
Ich versuche mal, mich kurz zu fassen, denn ich könnte einiges dazu schreiben.
Als jemand, der im Westen aufgewachsen ist und schon zu DDR Zeiten öfters "drüben" war und einige Menschen aus den Ostbundesländern kennt, ärgert es mich maßlos, wie primitiv diffamierend die Medien und selbst sogenannte Historiker (Brechtken) sein können. Bei dem einfachen Durchschnittsbürger wundert es mich noch nicht einmal, ärgert mich aber nicht weniger.
Das Problem des Rechtsextremismus ist kein Ostphänomen. Es gibt viele Gründe, warum es in bestimmten Orten (im Osten wie im Westen) überdurchschnittlich viele Neonazis gibt.
Abgesehen davon muss man m.M.n. eine Unterscheidung machen, zwischen Neonazi und Menschen, die ihre Heimat lieben, aber nicht gleich Nazis sind. Die Grenzen sind natürlich fließend und daher oft schwer zu differenzieren, aber gleich alle Heimatliebenden, AfD Wähler, Patrioten, oder was auch immer in einen Topf zu werfen mit Neonazis, ist nicht richtig, wird aber oft gemacht.
Allein für das, was ich gerade geschrieben habe, würden mich nicht wenige am liebsten gleich mit in diesen Topf werfen. Mir aber egal.
Desweiteren ist das Problem, dass viele Leute irgendwelchen Populisten hinterherlaufen ein weltweites Phänomen und in osteurop. Ländern nicht mehr anzutreffen, als in dem angeblich so von tollen Werten geleitete Westen.
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Conny • 28.05.2023
P.S. -- und besonders interessiert bin ich an einer Einschätzung von René.
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